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Fokussiert auf ARBEITEN Offshore –12. FISAT-Technikseminar® in Bremen

Zwei Höhenarbeiter verunglücken an einer Offshore-Windenergieanlage und landen in der Nordsee – dieses Szenario wird beim 12. FISAT-Technikseminar in Bremen Wirklichkeit. Zumindest fast! Die Kaimauer des Hafenbeckens ersetzt das Transition Piece der Anlage, das Weserwasser das des Meeres. Doch egal ob Demonstration oder Ernstfall: Einen kühlen Kopf zu bewahren und richtig zu handeln, hat immer oberste Priorität. Voraussetzungen dafür: Eine gute Ausbildung, verlässliche Abläufe und nicht zuletzt das richtige Material. Um all das geht es beim FISAT-Technikseminar, das dieses Jahr seinen inhaltlichen Schwerpunkt auf Arbeit und Rettung im Offshore-Bereich legt. Den Arbeitsbereich, der als Wiege der organisierten und gewerblichen Seilzugangs- und Positionierungstechnik (SZP) gilt.

Ausrüster, Behörden, Ausbilder, Versicherungen und nicht zuletzt die Anwender – die Halle des Pier 2 füllt sich am Freitagmorgen schnell. „Der Rekord des Vorjahres wird in diesem Jahr mit rund 230 Teilnehmern und 17 Ausstellern erneut übertroffen.“, freut sich Eric Kuhn, Präsident des FISAT, bei der Begrüßung. „Die Location ist optimal. Und mit dem Wasser direkt vor der Haustür, liegt es nahe, das auch zu nutzen.“ Gesagt, getan – kurzerhand wird der gesamte Waterfront-Anleger zur Beobachtungsplattform.

Konzentrierte Blicke richten sich auf das Geschehen im Wasser. Während die Rettungswesten der Verunglückten Luft ziehen, wartet das Team des Fast Rescue Crafts in der Nähe auf sein Startzeichen. „Unser größtes Problem ist die Zeit. Die haben wir da draussen nicht.“, sagt Thorsten Lieb, Ausbilder bei RelyOn Nutec Germany. Das liege gar nicht so sehr an der Gefahr des Auskühlens, sondern vielmehr daran, dass Menschen beim Sturz in die eisige See zur Überreaktion neigen: „Viele holen vor Schreck instinktiv Luft. Wenn sich der Kopf dabei unter Wasser befindet oder die Gischt durch schweren Wellengang permanent ins Gesicht spritzt, kann es schnell ganz kritisch werden.“, unterstreicht Knut Foppe von Ropemission, der die Demonstration zur Rettung aus dem nassen Element vom Trockenen aus überwacht und kommentiert.

Umso wichtiger ist die Ausrüstung: Einer der Verunglückten zieht demonstrativ eine schützende Haube über das gesamte Gesicht. Sie hält Wasser ab und lässt Sauerstoff durch und würde im Ernstfall ermöglichen, auch bei schwerem Wellengang noch ausreichend Luft zu bekommen. Ein Seenotsignal wird entzündet, oranger Rauch steigt auf. Das Team um Thorsten Lieb ist schnell zur Stelle. Die beiden Verunglückten werden sicher ins Boot befördert. Das Ufer applaudiert.

Überhaupt ist die Stimmung rund um den Veranstaltungsort gut und sehr vertraut. Man kennt sich in der Branche und für die allermeisten Teilnehmer ist es nicht der erste Besuch auf einem FISAT-Technikseminar. „Das Seminar gehört für uns zu den wichtigsten Veranstaltungen im Jahr, es ist einfach ein super Ort um alle auf einem Haufen zu treffen. Ein idealer Ort um zu netzwerken und seine Produkte vorzustellen.“, sagt Ronja Brinkmann vom Ausrüster Petzl. Sascha Förster, Chef von Höhentechnik Förster Safetysolutions ergänzt: „Es ist hier wirklich total familiär. Der Umgang ist sehr respektvoll, der FISAT gibt sich viel Mühe immer super Locations zu finden und für eine schöne Atmosphäre zu sorgen!“ Die gibt es auch am Abend des ersten Seminartages, als die letzten Sonnenstrahlen diverse Kaltgetränke in warmes Licht tauchen. Sie werden an Bord der „Hanseat“ verköstigt, in geselliger Atmosphäre, während eines kleinen Schifftörns durch das Bremer Hafengebiet.

Bei allem Wohlfühl-Faktor kehrt während der Fachvorträge schnell Ernst ein. Die Themen sind relevant, betreffen viele im Raum ganz persönlich: „Risikomanagement im Outdoor-Bereich“, „Wenn es zum Äußersten kommt – Unfalluntersuchungen strategisch, konsequent und objektiv durchführen“ oder „Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Errichtung und Betrieb von Offshore-Windparks“ – nur drei von mehr als zehn Vorträgen, denen im Anschluss an die Präsentation Nachfragen und Diskussionen folgen. So auch beim letztgenannten, den Sybille Schnegelsberg vom Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt in Oldenburg hält. Denn wie wichtig es in einer Offshore-Notsituation ist, dass sich ein Rettungsboot schon standardmäßig in der Nähe aufhält, zeigte sich bereits bei der Demonstration im Hafenbecken. Unter Realbedingungen käme es aber vor, dass vom Auftraggeber keins zur Verfügung gestellt wird, berichtet ein Teilnehmer aus dem Auditorium. Für Schnegelsberg ein absolutes No-Go: „Auftraggeber dürfen so etwas nicht und wir können Ihnen das verbieten. Aber: Wir sind nicht da draußen. Wir brauchen ihre Hinweise. Natürlich unter Wahrung der Anonymität.“ Gerade im Offshore-Bereich scheint noch vieles besprochen, kontrolliert und festgezurrt werden zu müssen, scheinen – so weit vor der Küste – Theorie und Praxis manchmal auseinanderzuklaffen.

Auch bei anderen Themen gibt es Gesprächsbedarf: Die von der FISAT ZertOrga GmbH angestrebte Prozesszertifizierung von Unterweisungen im Bereich PSAgA löst rege Diskussionen aus. Ein einheitlicher Standard – so der Tenor der Teilnehmer – sei hier schon wünschenswert, aber ob die Prozesszertifizierung vor allem für kleinere Unternehmen auch wirtschaftlich stemmbar sei, fragen sich doch viele. Wolfgang Schäper von der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft begrüßt die FISAT-Initiative: „Grundsätzlich finde ich das gut. Viele Betriebe, die PSAgA anwenden, sind überfordert bei der praktischen Unterweisung. Insofern suchen die natürlich Hilfestellungen und wenden sich üblicherweise an die Trainingszentren der Hersteller. Ich glaube, dass das nicht reicht. Die angestrebte Prozesszertifizierung kann eine gute Hilfestellung sein, ob sie auch angenommen wird, muss sich dann zeigen.“

Unstrittig und für jeden Teilnehmer eine super Botschaft beim Technikseminar: Höhenarbeiter sind gefragt. Und: Das Kerngeschäft des FISAT, die Seilzugangstechnik, wird immer wichtiger. Dank ihr erstrahlt die weltberühmte Elbphilharmonie in ihrem typischen Glanz, immer wenn die hanseatische Sonne sich mal vorwagt hinter den Hamburger Schmuddelwetter-Wolken. Das Außenreinigungskonzept der Elphie verlässt sich auf SZP, nicht etwa nur auf Hebebühnen. Dieses Beispiel macht Schule: Auch bei der Errichtung des neuen Axel-Springer-Gebäudes in Berlin wird schon beim Bau darauf geachtet, eine Reinigung via SZP zu ermöglichen. Hauptverantwortlich dafür ist Dipl. Ing. Markus Füss von Hochsicher, der das Konzept für den Neubau erarbeitet hat. Er prognostiziert SZP am Rande des Technikseminars eine rosige Zukunft – gerade bei großen und komplizierten Gebäuden: „Bei architektonisch extrem aufwändigen Projekten wird immer mehr ein Augenmerk auf spezielle Anschlagpunkte gelegt, weitreichende, SZP-taugliche Schienensysteme werden verbaut, zumal klassische Befahranlagen, das belegen die Zahlen, recht unfallträchtig sind und architektonisch oft gar nicht integrierbar.“ Arbeiten per Seilzugangstechnik werden also im Vergleich zu herkömmlichen Methoden nicht nur von immer mehr Menschen als gleichwertig erachtet, sie gelten sogar oft als variabler und sicherer.  

Falls es im Seil doch einmal zur Notsituation kommt, wie man sich dann zu verhalten hat, ist Thema am zweiten Tag des Technikseminars. Den Ausgangspunkt zur Praxisdemonstration bietet ein schwebendes Gerüst, das von Mitarbeitern der Rope Access Solutions GmbH extra in der Halle angebracht wurde. In rund sechs Metern Höhe ist es befestigt, zwischen den stählernen Armen eines Ladekrans, der die gesamte Bühne des Pier 2 überspannt. Von dort seilen sich Anwender ab und simulieren einen Unfall. Welcher Rettungsansatz ist jetzt der beste? PSA-Rettung mit Rettungshubgerät? Gegenseitige Kameradenrettung unter Verwendung von Seilzugangstechnik? Oder doch ein ganz anderer? Die Antworten liefert wieder Knut Foppe von Ropemission, der die Übung kommentiert. Zusammen mit Dr. Rüdiger Franz, ärztlicher Leiter des ganzheitlichen medizinischen Versorgungskonzeptes WINDEAcare, werden verschiedene Rettungsverfahren beleuchtet, Stärken und Schwächen aufgezeigt, notfallmedizinische Hintergründe geliefert und konkrete Handlungsempfehlungen gegeben. Wie sehr sich das Publikum von der Demonstration in den Bann ziehen lässt, lässt sich hören: Außer den Stimmen von Foppe und Franz ist da eigentlich kaum ein anderes Geräusch in der Halle.


Entsprechend positiv fällt das Fazit der Teilnehmer aus: „Es war sehr interessant auch mal einen Einblick zu kriegen in die Thematik Offshore – mit allem was dazu gehört: Rettung, Vorbereitung, Nachbereitung. Auch mit vielleicht immer noch fehlenden Vorgaben, Lücken in der Gesetzeslage oder in Rettungskonzepten. Wirklich sehr informativ alles!“, lobt Eric Ziegler, Ausbilder bei der Skylotec GmbH. Oliver Backhaus von WODOTO war das erste Mal bei einem FISAT-Technikseminar. Zusammen mit seinen Arbeitskollegen hat er eine Verwaltungs-App für Höhenarbeiter entwickelt: „Man kommt mit den Leuten super ins Gespräch. Es war auch sehr viel Begeisterung dabei, wenn man erklären konnte, was genau man da entwickelt hat. Und, für uns total wichtig: Es gab sehr viel Feedback, was man vielleicht noch in Zukunft einbauen könnte, welche Funktionen eventuell noch fehlen. Wir sind bestimmt im nächsten Jahr wieder mit dabei.“

Dann schon beim 13. FISAT-Technikseminar®, das 2020 in Celle stattfindet. Dort wird das Schwerpunktthema dann das Facility-Management sein