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Auf der Suche nach den schwer kalkulierbaren Risiken und versteckten Gefahren beim 2022er FISAT-Technikseminar®  in Berlin

 

Aus der Perspektive des Arbeitsschutzes betrachtet, bedeutet Sicherheit vorrangig die körperliche und geistige Unversehrtheit der Beschäftigten. Volkswirtschaftlich und unternehmerisch gedacht, sind dabei auch Aspekte wie Rechtssicherheit sowie die Abwendung von finanziellen Schäden zu berücksichtigen. Aus diesem Grund deckte das Vortragsangebot beim diesjährigen Technikseminar auch Themenbereiche ab, die vordergründig oft nur wenig mit Höhenarbeit zu tun haben. Denn Sicherheit bedeutet nicht nur singulär: Nur nicht abstürzen. Das geht weit darüber hinaus.

Neben praktischen Vorführungen, dem PETZL Technikparcours und einem vielseitigen Vortragsangebot konnten wir dabei wieder den individuellen Austausch und das Networking in den Fokus der Veranstaltung rücken. Als Moderator unterstützte uns Camillo F. Kluge, Chefredakteur des Fachmagazins „Arbeitsschutz - aber sicher!“

Das Programm am Freitag

Eric Kuhn, Präsident des FISAT, begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Freitagmorgen im Conference Center des Seminaris CampusHotel Berlin.

Was ist eine Hochzuverlässigkeitsorganisation und was haben Höhlentaucher, Projektmanager und Höhenarbeiter gemeinsam? Michael Ryba, Project Director bei der Robert Bosch GmbH, tauchte in seiner Präsentation „Überleben im Projekt“ mit uns - im wahrsten Sinne des Wortes - tief in die Themen Risikomanagement, Resilienz und die Bedeutung von standardisierten Vorgehensweisen ein. Die Art und Weise, wie komplexe Höhlentauchgänge und Explorationen als Projekt geplant werden, lässt sich leicht auf andere Vorhaben mit geringer Fehlertoleranz, wie zum Beispiel Arbeiten unter Zuhilfenahme von Seilzugangstechniken, übertragen.

Hermann-Josef Falke von der Fachgemeinschaft Bau Berlin Brandenburg e.V. widmete sich in seinem Vortrag „Ausführung von Handwerksleistungen – zwischen Zulassungspflicht und Schwarzarbeit“ der leider häufig vernachlässigten Frage nach Gesellen- und Meisterbrief also den formalen Voraussetzungen für die Ausführung von Handwerksleistungen. Unbedingt zu berücksichtigen sind dabei die Zulassungspflicht von bestimmten Gewerken sowie die Eintragung in der Handwerksrolle.

Jan van Remmen, Vertriebsleiter der BUCHEN KraftwerkService GmbH, beschäftigte sich beim Thema „Sicherheits- und Kesselreinigungen unter Zuhilfenahme von Seilzugangstechniken“ mit dem häufigen Zeitdruck, physischen und psychischen Belastungen und dem erforderlichen hohen Maß an Planung, Koordination und Kommunikation.

Zum Thema „Blitzschlag, Überspannung und EMV – eine unsichtbare Gefahr“ gab Jost Organista – PSAgA Akademie NRW-Ruhr, Zentrum für Absturzsicherheit, Höhenarbeit & Höhenrettung – wertvolle Hinweise aus der eigenen Erfahrung hinsichtlich der Standortbetrachtung für Höhenbaustellen weiter. Als Elektromeister, Elektrotechniker und Sachverständiger für Blitz- und Überspannungsschutz mit Zusatzqualifikationen für Seilzugangstechnik und Höhenrettung, teilte er sein fundiertes Wissen zum Thema Blitz mit allen Anwesenden und stellte weiterführende Wissensquellen zu diesem Themengebiet vor.

„Ladungssicherung auf Straßenfahrzeugen“: Als Spezialist für Ladungssicherung und Autor mehrerer Publikationen zu diesem Thema, gab Dipl.- Ing. (FH) Markus Tischendorf, Aufsichtsperson bei der BG ETEM, zahlreiche Antworten auf wesentliche Fragen. Fragen, die leider meist erst dann gestellt werden, wenn bereits ein Schaden entstanden ist. Das ist – so seine Erkenntnis – in den allermeisten Fällen oft mit bekannten Mitteln vermeidbar.

Denkanstöße zur „(In-)Kompatibilität von komplexer PSA“ in der beruflichen Praxis gab Daniel Caliebe-Dicke, der als Sicherheitsingenieur für den Bereich Windenergie bei der 8.2 QHSE GmbH & Co. KG in Rostock beschäftigt ist und auf umfangreiche, langjährige praktische Erfahrungen in der Windindustrie On- und Offshore zurückgreifen kann. Wie ist es beispielsweise ganz konkret realisierbar, dass Rettungswesten, Überlebensanzüge, Auffanggurte, Helme und Rettungsgeräte zusammenpassen, ohne dass auch nur einer der Ausrüstungsgegenstände etwas von seiner prinzipiellen Schutzwirkung einbüßt? Er regte dazu an, mögliche Konfigurationen von entsprechendem Equipment, das von vielen Anwendern in der beruflichen Praxis genutzt werden soll, unter praxisnahen, sicherheitsseitig beherrschbaren Bedingungen auf mögliche negative Wechselwirkungen selbst zu testen sowie dabei zu Tage getretene ungünstige Beeinflussungen von PSA untereinander unbedingt zeitnah selbst zu verändern bzw. verändern zu lassen.

Parallel zu der Fachausstellung im Erdgeschoß fanden in den Vortragspausen im Außenbereich Praxisvorführungen von mehreren Ausstellern statt. Beim ebenfalls auf der Piazza von PETZL veranstalteten Technikparcours bot das PETZL Team allen Interessierten die Möglichkeit, ihre individuellen Fertigkeiten in der Seilzugangstechnik unter Beweis zu stellen. Als Gewinne waren mehrere hochwertige Preise ausgelobt. Björn Windfuhr von der SRHT-Einheit der Berliner Feuerwehr konnte dabei das beste Ergebnis erzielen. Glückwunsch dazu!

Der zweite Veranstaltungstag unseres Technikseminars

Harald Dippe, Aufsichtsperson bei der BG Bau, eröffnete mit seinem Vortrag „Beinaheunfall – beinahe vergessen“ den zweiten Veranstaltungstag. Er plädierte für mehr Offenheit der Beteiligten, eine entsprechende Kommunikationskultur sowie daraus resultierend für die Chance, zukünftige Unfälle zu verhindern. Insbesondere ging es ihm dabei um eine Reduzierung der blinden Flecken bei jedem selbst, der Nutzbarkeit fundierter Berichte und Schlussfolgerungen bei Schulungen sowie die Überzeugung, dass sich aus einem positiven Ende ein größerer Zugewinn an Erkenntnissen herausziehen lässt, als aus einem dramatischen Todesfall. Auf dem Weg zu einer positiven Fehlerkultur gilt es – so seine Meinung – noch einiges zu lernen bzw. zu verbessern.

Unter dem Titel „Team Ressource Management“ schlossen sich die Ausführungen von Daniel Witt, Reflex Emergency Skills GbR, an. Er ist als Notfallsanitäter, Organisatorischer Leiter Rettungsdienst, Blogger, Podcaster und Honorardozent haupt- und ehrenamtlich eng mit Hilfeleistung und Rettungsorganisationen verbunden. Er versucht Team Ressource Management selbst zu leben und gibt sein Wissen darüber weiter. Um Unfälle durch menschliches Versagen zu reduzieren, werden nicht-technische Fertigkeiten wie Kommunikation, Führungsverhalten, Stress- und Fehlermanagement geschult, denn den „Human Factors“ werden mehr als drei Viertel der entstehenden Fehler zugeschrieben.

Dipl. Ing. Andrea Bonner, stellvertretende Leiterin des Sachgebiets Sanierung und Bauwerksunterhaltung der DGUV und eine der führenden Fachfrauen für stoffliche Gefährdungen sprach über „Gefahrstoffe bei Bau- und Sanierungsarbeiten“. Ihr Sachgebiet befasst sich unter anderem mit kontaminierten Bereichen sowie Gefahr- und Biostoffen im Bauwesen. Bei den Schlagworten „Asbest“ und „asbesthaltiges Material“ im Planungsgespräch werden bei den meisten Denkprozesse in Gang gesetzt und die Alarmglocken beginnen zu läuten. Aber die Palette der Baumaterialien, in denen die Faser vorkommt ist riesig – vom Fliesenkleber bis zur Dachpappe. In Ihrem Vortrag zeigte Andrea Bonner auf, dass darüber hinaus noch eine Menge weiterer stofflicher Gefährdungen, denen Beschäftigte leider meist unbewusst ausgesetzt sind, existieren, die unsere volle Aufmerksamkeit bei der Planung und Realisierung von Höhenbaustellen – ob in Industrieanlagen oder im Dachstuhl eines Kirchenschiffs – erfordern.

Zum Thema „Gefährdung durch Flora und Fauna“ sprach im Anschluß der Fachagrarwirt und European Tree Technician Markus Breithaupt, Kletterspezialisten GmbH & Co. KG. Es gibt nicht viele, aber es gibt sie in Deutschland: giftige, meist allergieauslösende, Tiere und Pflanzen. Hauptsächlich kommen unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Baumpflege mit ihnen in (schmerzhafte) Berührung. Aber auch im urbanen oder industriellen Bereich sind sie auf Brachflächen oder Speichern anzutreffen. Grund genug, meint Markus Breithaupt, sich über Arten, Vorkommen und Schutzmaßnahmen und sich über die damit verbundene, häufig übersehene Gefährdung zu informieren.

Im letzten Vortrag der Veranstaltung erörterte Peter Bessler vom Deutschen Slackline Verband e.V. empirische Fakten zu horizontal gespannten Seilen am Beispiel von Highlines. In seinem Vortrag „Horizontale Kräfte verstehen“ betrachtete er verschiedene Mythen rund herum um Vektorkräfte bei horizontalen Seilstrecken: Abhängig von Länge, Vorspannung, eingebrachter Last und Gebrauchsdehnung werden Anschlageinrichtungen be- oder überbelastet.

Unser Dank gilt allen Referentinnen und Referenten, den Ausstellern, Förderern und Partnern für die große Unterstützung, dem Team vom SeminarisHotel Berlin sowie alle aus dem In- und Ausland angereisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer für das Feedback.

Ein großes Dankeschön auch allen Unterstützer*innen unserer Benefizaktion zu Gunsten des Hummelkind-Visite e.V. Die Auszählung der Spenden ist aufgrund der Herbstferien in Berlin noch nicht erfolgt – wir werden das Ergebnis nachreichen.

Wir würden uns sehr freuen, Sie bzw. euch alle gesund und fit beim 15. FISAT-Technikseminar® im Frühjahr 2024 begrüßen zu können.